Ein kleines Flüsschen schreibt Geschichte
Landauf und landab höre ich seit vielen Wochen vom Rubikon. Dieses südlich von Ravenna in die Adria mündende Flüsschen wäre überschritten worden, heißt es im Zusammenhang mit dem Bundespräsidenten dann wieder und wieder. Unser österreichischer Freund Serafino fragte süffisant in die Bärenrunde, ob sich der deutsche Bundespräsident denn kein Automobil mehr leisten könne und zu Fuß gehen müsse – vom österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer habe er jedenfalls noch nie dergleichen vernommen. Während nun unser lieber Freund Bärli den deutschen Bundespräsidenten auf Staatsbesuch in Italien wähnte (tatsächlich wird der Bundespräsident erst Anfang kommender Woche nach Italien reisen. Ob da für seine Frau ein Valentino-Tag auf dem Programm steht?), wusste Serafino natürlich ganz genau, dass es sich beim „Überschreiten des Rubikons“ um eine alte deutsche Redewendung handelt … mit lateinischem Ursprung. Euer Bryan wollte mehr darüber wissen und erfuhr Folgendes:
Richtig berühmt wurde der Rubikon erst mit einem der bekanntesten Römer überhaupt, dem Staatsmann, Feldherrn und Schriftsteller Gaius Julius Cäsar (100 – 44 v. Chr.). Dieser Cäsar hatte in den Jahren 58 bis 51 v. Chr. ganz Gallien (Asterix, bitte verzeihe mir!) bis zum Rhein erobert. Doch als ihm der römische Senat seine Macht beschneiden wollte, kam es zu einem der Römischen Bürgerkriege (dem von 49 bis 45 v. Chr.), an dessen Ende sich Cäsar gegen seinen ehemaligen Verbündeten Pompeius (106 – 48 v. Chr.) durchgesetzt und die Alleinherrschaft errungen hatte. Und dieser Bürgerkrieg begann, jedenfalls wenn ich Euren Historikern glaube, genau in jenem Moment, in dem Cäsar von Norden kommend mit seiner etwa 5.000 Mann starken dreizehnten Legion den kleinen Grenzfluss Rubikon zwischen der römischen Provinz Gallia Cisalpina und dem eigentlichen Italien und damit zur entmilitarisierten Zone um Rom überschritten hatte. Denn dies kam einer Kriegserklärung an den römischen Senat gleich!
Ihr sollt aber wissen, nur wenige Fakten sind diesbezüglich eindeutig geklärt. Nicht einmal die genaue Lage des antiken Rubikons ist bekannt – der heutige Fluss Rubicone hieß vor seiner Umbenennung im Jahr 1932 durch den Gewaltherrscher Mussolini (1883 – 1945) lange Zeit Fiumicino und ist nur „wahrscheinlich“ der antike Rubico. Im Online-Nachschlagewerk Wikipedia ist zu lesen: „Eine Kombination von natürlichen und vom Menschen verursachten Korrekturen veränderten den Lauf des ursprünglichen Rubikons, wie er während Julius Caesars historischer Überquerung verlaufen war.“ Anschließend heißt es dort seltsamerweise: „Seit 1991 wird der Fiumicino, ein Fluss, der durch Savignano sul Rubicone fließt, für den ursprünglichen Rubikon gehalten.“ Doch wie auch immer, heute fließt der Rubicone durch ein Industriegebiet und ist stark verschmutzt. Mit anderen Worten: Es stinkt gewaltig!
Cäsar selbst hat vermutlich niemanden mit der Feststellung „Ich hab grad den Rubikon überschritten“ gelangweilt. Unstreitig aber hat er genau gewusst, wie entscheidend und folgenschwer dieser Übertritt war bzw. sein würde. Der Schilderung des römischen Geschichtsschreibers Sueton (um 70 – zw. 130 u. 140 n. Chr.) zufolge kam Cäsar damals an den Rubikon und meinte: „Noch können wir zurück; wenn wir diese kleine Brücke überschreiten, wird alles mit Waffen auszutragen sein.“ Und etwas später: „Dorthin gehe es, wohin der Götter Zeichen und der Feinde Unrecht ruft. Geworfen ist der Würfel.“ Welch durchdachte Worte doch Eure Anführer immer finden, damals jedenfalls. Erst fielen also die Würfel, dann die Menschen. Bloß gut, dass der Papi in seinem Lateinunterricht die Dinge lockerer sehen konnte: „Veni, vidi, vici, der Cäsar ist ein Strizzi!“
Nach einem älteren Buch über deutsche Redensarten überschreitet den Rubikon, wer einen gewagten Schritt tut, um eine schwerwiegende Entscheidung herauszufordern. Der Ausspruch wird diesem Buch zufolge meist in einer Lebenslage angewendet, in der ein Entschluss von ausschlaggebender Bedeutung gefasst werden muss. Schon erstaunlich, Cäsars Rubikonade ist vor ziemlich genau 2061 Jahren geschehen. Und Ihr Menschen erinnert Euch daran, als hätte er Euch gerade auf die Mobilbox gesprochen.
Liebe Freunde, ich finde „Den Rubikon überschreiten“ eine sehr gelungene Redewendung. Das klingt doch viel bäriger als etwa „Ich traf heute eine wichtige und unwiderrufliche Entscheidung“ oder „Ich habe heute einen (strategisch) entscheidenden Schritt getan oder glaube dies jedenfalls“ … Wie tief genau nun jemand im Sumpf steckt und wie viele am Ende im Rubikon ertrunken sind, kann ich zwar nicht sagen. Aber ich weiß, dass der schlaue Serafino seine Aussagen neuerdings immer so bekräftigt: „Ihr könnt mir glauben, ich bin nicht der Bundespräsident.“
Kleine Nachbemerkung: Eine besonders anschauliche Verwendung dieser Redewendung hat der Papi im Roman „Demission des technischen Zeichners Gerald Haugk“ von Hubert Gerlach (geboren 1927) gefunden (aber nur dank Duden-Band 11 „Redewendungen“): „Sie entzog sich seinen Händen, die eben im Begriff waren, den Rubikon zu überschreiten.“
Servus Bryan!
Viel besser als der heutige SZ-Magazin-Artikel http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/36991/Der-Rubikon-ist-ueberschritten. Und wenigstens hältst Du die Illusion aufrecht, es handele sich bei dem Flüsschen noch um ein Gewässer, zu dessen Überschreitung es mehr als eines beherzten Schrittes bedarf.
Die in der SZ abgebildeten Rinnsale karikieren die römische Geschichte geradezu.
Ich indes habe schon mehrfach unseren reißenden Lüßbach überschritten. Ganz ohne strategische oder staatstragende Konsequenzen…