Biss vom Bärenbankerl Mensch des Monats

In Verehrung für meinen liebsten Präsidenten!

Sandro Pertini, italienischer Staatspräsident 1978 bis 1985
(Foto: Presidenza della Repubblica)

Euer Bryan denkt besonders in diesen Tagen oft an seinen liebsten Staatspräsidenten zurück. Es handelt sich hierbei um einen Italiener – aber dass mir jetzt ja niemand auf die Idee kommt, ich würde von Ex-Ministerpräsident Bärlusconi reden … Nein, der Mensch, den der Papi und ich seit vielen Jahren für ein wahrhaftiges und vorbildliches politisches Wesen halten, ist Sandro Pertini (Foto nebenan). An ihn denken wir, ihn nennen der Papi und ich, wenn uns jemand nach einer moralisch beispielgebenden, glaubwürdigen Persönlichkeit mit größter menschlicher und politischer Autorität fragt, äähhh, fragen sollte. In Erinnerung an ihn glänzt Italien noch heute, und vor Sandro Pertinis Lebensleistung verneigen wir zwei uns ehrfürchtig und voller Bewunderung.

Viele andere Politiker sollten sich mehr als nur eine Scheibe bei ihm abschneiden. Auweia, da will ich nicht politisch werden und kann doch nicht anders, als auf zwei meiner bisherigen Artikel zu verweisen: „Ordentlich zurücktreten, wie geht das?“ und „Adel verzichtet – ein Franke auf Entzug“. Fehlt als Drittes nur noch der Verweis auf „‚Ich entschuldige mich‘ – ‚Das geht aber nicht‘“.

Weiß Gott, es war eine andere Zeit, in der Sandro Pertini wirkte. Und ein anderes Land. Doch bei der Durchsicht seiner Wikipedia-Biografie verspüre ich wieder mal so richtig die tiefe Sehnsucht nach einem guten Präsidenten für mein Bärenherz. Liebe Freunde, Ihr könnt etwa im Online-Nachschlagewerk Wikipedia eine ganze Menge über den am 25. September 1896 geborenen und am 24. Februar 1990 verstorbenen Alessandro Pertini nachlesen. Italienischer Staatspräsident war er von Juli 1978 bis Juni 1985. Vor dieser Zeit hatte er bereits eine Menge erlebt – doch keine Sorge, ich fasse mich kurz und auch das Hauptabendprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wird wegen Sandro Pertini niemals mehr geändert werden. Schade eigentlich!

Sandro Pertini: Sohn eines reichen Grundbesitzers aus dem Piemont, Salesianer-Internat, Gymnasium, ligurische Arbeiterbewegung. Studium der Sozial- und der Rechtswissenschaften, Promotion, später Diplomstudium der Politikwissenschaften. „1917 wurde Pertini eingezogen, nahm als Leutnant an der Isonzo-Front am Ersten Weltkrieg teil und erhielt einige Auszeichnungen für Mut und Tapferkeit. 1918 trat er dem Partito Socialista Italiano (PSI) bei.“ (PSI heißt auf Deutsch SPI, also Sozialistische Partei Italiens. Auch alle folgenden Zitate haben der Papi und ich der Wikipedia von heute entnommen.)

Mitte der 1920er-Jahre begann Sandro Pertinis jahrelanger Kampf gegen die Mussolini-Diktatur. Obwohl er „mehrfach von faschistischen Kommandos verprügelt“ wurde, verlor er nie seine politischen Ideale. 1926 verurteilte ihn das rechtsgerichtete Regime zu fünf Jahren Deportation, Sandro aber konnte fliehen und blieb bis 1929 in Frankreich. „Er arbeitete dort als Taxifahrer, Hilfsarbeiter, Anstreicher, Maurer und Komparse. Nach seiner Rückkehr nach Italien mit einem gefälschten Schweizer Pass bemühte er sich um den Aufbau einer sozialistischen Untergrundorganisation, wurde jedoch verraten.“ Weil er nach einer neuerlichen politischen Verurteilung zu fast elf Jahren Gefängnis „Es lebe der Sozialismus!“ und „Nieder mit dem Faschismus!“ ausgerufen hatte, verurteilte „man“ ihn zu lebenslangem Zuchthaus.

Ende 1930 führten mehrere ernsthafte Erkrankungen zu seiner Einweisung in ein Heim für chronisch Kranke, im April 1932 wurde er in ein Sanatorium für Strafgefangene verlegt. „Als man seiner Mutter seines Gesundheitszustands wegen ein Gnadengesuch nahelegte, machte er klar, dass er keine Gnadengesuche wünsche.“ Von 1935 bis 1943 (!) war Sandro Pertini an verschiedenen Orten in der Verbannung – doch kaum befreit, übernahm er wichtige Funktionen bei der Organisation des militärischen Widerstandes gegen das faschistische Regime und gegen die deutschen Besatzer. „Nachdem er von der SS (…) in Rom verhaftet und brutal verhört worden war, ohne jemanden zu verraten, wurde er zum Tode verurteilt.“

Wie durch ein Wunder kam Sandro während eines Überfalls der italienischen Widerstandsbewegung frei und konnte in den folgenden beiden Jahren tatkräftig zur Befreiung seiner Heimat beitragen. Wie viel Geschichte da zwischen jeder einzelnen Zeile steckt! So war Sandro Pertini seit dem 8. Juni 1946 mit Carla Voltolina (Juni 1921 bis Dezember 2005) verheiratet, die er 1945 bei den Partisanen kennengelernt hatte. Und ausgerechnet an jenem Tag der Befreiung Italiens (25. April 1945) kam sein jüngster Bruder Eugenio im Konzentrationslager Flossenbürg ums Leben.

Wenn Bärli über vierzig wär, dann tät ich ihn jetzt melden. Ihr hättet dann, was Ihr so braucht: ’nen bärenstarken Helden. Bärli ins Bellevue!

Gesegnet sei das Alter: Der bei Kriegsende 48-jährige Sandro Pertini sollte da noch fast 45 Lebensjahre vor sich haben. So viele Jahre, voller geistiger (und vermutlich auch finanzieller …) Unabhängigkeit, voller Engagement für sein Heimatland und für die Freiheit, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, gegen jede Art von Kolonialismus, gegen Atomwaffen auf italienischem Boden. Aber gut Ding will Weile haben: Erst nach 16 (!) Wahlgängen und mit 81 (!) Jahren wurde Sandro Pertini am 8. Juli 1978 zum Präsidenten der italienischen Republik gewählt. Das höchste Staatsamt Italiens ist unter ihm aufgeblüht. Während des Terrors der „Roten Brigaden“ verteidigte er die „Institutionen des Rechtsstaats und sprach offen die vermutete Verbindung zwischen den Roten Brigaden und der UdSSR an. (…) Mehrfach weigerte sich Pertini, den im Nachkriegsitalien aus taktischen Gründen so beliebten Weg der Neuwahlen zu gehen, und zwang so die italienischen Parteien, nach Kompromissen zu suchen.“ Er verurteilte die Morde und Machenschaften der Mafia, die Trennung zwischen weißen und farbigen Menschen in Südafrika, die südamerikanischen Militärdiktaturen und die (russische) Intervention in Afghanistan. Genau so wünsche ich mir einen Präsidenten!

Dreieinhalb Jahre nach Ende von Sandro Pertinis Präsidentschaft verlieh ihm die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen ihre neu geschaffene Otto-Hahn-Friedensmedaille in Gold – „für herausragende Verdienste um Frieden und Völkerverständigung, insbesondere für seine politische Moral und praktizierte Humanität“. Und auch mein Schlusszitat zu Sandro Pertini aus der Wikipedia möge für alle künftigen Staats- und Bundespräsidenten dieser Welt Ansporn sein: „Sein Tod hinterließ bei vielen Italienern eine tiefe Lücke, weil er in der gesamten Bevölkerung für seine Rechtschaffenheit, Integrität und für seine Weise, moralische und politische Fragen auszusprechen, geliebt wurde.“