Bryan hört Musik Worte im Wind

Bryans Liedertruhe (V): „Another Spring, Another Love“

„Keine Panik, Madame: Da hinten rechts sitzt nur unser Bärli
und pfeift. Aber auch ihm gefällt Ihr kleines Lied!“

Ich will Euch heute endlich wieder mal ein wunderschönes Lied näher vorstellen. Und es ist das erste Mal, dass es ein englischsprachiges Lied aus meiner großen echten in meine noch kleine virtuelle Liedertruhe geschafft hat! Apropos Liedertruhe: Ich habe vorhin mit Papis Hilfe doch glatt meinen alten Schlagerladen umbenannt. Wundert Euch also bitte nicht, wenn die bisher präsentierten vier Lieder ab sofort unter anderen Überschriften zu finden sind: Aus „Bryans Schlagerladen, erstes Lied“ wurde Bryans Liedertruhe (I): ‚Brauner Teddybär‘, „Bryans Schlagerladen, zweites Lied“ heißt nun „Bryans Liedertruhe (II): ‚Ob wir uns wiedersehn‘“; es folgen nach dem gleichen Schema meine Beiträge „Bryans Liedertruhe (III): ‚Spuren, die der Wind verweht‘“ und „Bryans Liedertruhe (IV): ‚So jung darfst du nicht gehn‘“. Ich liebe viele Lieder und ich mag römische Ziffern, aber bis Ihr in dieser Rubrik „497“ in römischer Schreibweise lesen könnt, wird noch ein Weilchen vergehen.

Meine Güte, das war ja eine lange Einleitung. Und dabei habe ich noch gar nicht wirklich angefangen! Aber jetzt lege ich direkt los. Der Serafino hat mich vorhin frech gefragt: „Lohnt es sich denn überhaupt, sich wegen eines kleinen und gänzlich unbekannten Liedes von nur rund zwei Minuten und zwanzig Sekunden Länge den Mund fusselig zu reden?“ „Aber natürlich!“, habe ich ihm lächelnd geantwortet und hinzugefügt: „Noch schöner fände ich es freilich, wenn sich meine Leserinnen und Leser dieses kleine Chanson-Juwel auf der Video-Plattform Youtube heraussuchen (was gar nicht so einfach funktioniert …) oder sich gar in den iTunes Store begeben würden. Und perfekt wäre es, wenn der Song dann tatsächlich auch ihre Herzen berühren würde.“

Von den frühen 1930er- bis zu den späten 1960er-Jahren galt sie weltweit als
Mode- und Stilikone. Doch wer hat ihr hier das Fell über die Ohren gezogen?

Another spring, another love
and yet it’s always the same
another spring, another love
but love has only one name

Los Angeles, irgendwann im Jahr 1957: Unter der Leitung von Arrangeur und Dirigent Burt Bacharach entsteht im Plattenstudio von Robert Mellin die B-Seite einer neuen Single. Vor dem Mikrofon steht eine Lady, von der die Süddeutsche Zeitung noch zwanzig Jahre nach ihrem Tod schreiben wird: „Keine war je wie sie und keine wird es je sein.“ Diese deutsch-amerikanische Künstlerin ist während ihrer gesamten langen Karriere sehr wandlungsfähig gewesen. Oft hat sie sich sozusagen völlig neu erfunden – und deswegen ist es nicht immer einfach, sie auf Fotos sofort zu identifizieren. Ihr rauchig-melancholisches Timbre passt in meinen Ohren einfach wundervoll zu diesem eher traurigen Lied. Übrigens: Wenn Papis Informationen stimmen, hat die Sängerin das von Noel Paris komponierte und von Gloria Shayne (Baker) geschriebene Lied auch sechs Jahre zuvor in einem ihrer Kinofilme gesungen, nämlich in „Die Reise ins Ungewisse“.

Another face, another smile
another ride back up to the moon
another heart that asks for mine
but in my heart the same old tune

Die extravagante Bühnengarderobe der weltberühmten Schauspielerin und Sängerin ist über Jahrzehnte in aller Munde gewesen. Die Londoner Presse nannte ihr Outfit gar „die höchste Errungenschaft der Theaterwelt seit der Erfindung der Falltür“. Sie selbst freilich sah die Angelegenheit sehr viel nüchterner: „Ich kann nicht singen. Also muss das, was ich trage, eine Sensation sein.“ Es kommt wirklich nur höchst selten vor, dass Euer Bryan einer Frau widerspricht – aber in diesem Fall muss ich es tun: von wegen „Ich kann nicht singen“! Vielleicht, liebe Freunde, teilt Ihr schon bald meine Ansicht: Sie intoniert das kleine, wehmütige und weise Lied unnachahmlich berührend. Ob das etwa der Grund ist, warum sich kein anderer Künstler bisher an eine Neuinterpretation von „Another Spring, Another Love“ gewagt hat?

Alone at night
I gently untie the past
a photograph, a letter
a golden dream that wouldn’t last

Wie schwärmte Bärli von diesem legendären Schwanenmantel! Bis er erfuhr, dass für Marlenes Mäntel (sie hatte zwei Stück) vermutlich zwischen 600 und 3.000 Schwäne gequält wurden. Eine Schlappe für die Schleppe: Nun pfeift Bärli auf den Glamour!

Im Internet sind merkwürdigerweise die Zeilen jenes Liedes immer mit drei Fehlern zu finden – zumindest bis eben: In allen mir vorliegenden Quellen fehlt in der sechsten Zeile das „up“, statt „wouldn’t“ heißt es überall „couldn’t“ und, schlimmer noch, der „goldene Traum“ wird fälschlicherweise mit „ein goldenes Kleid“ übersetzt! Okay, das ist beinahe schon wieder lustig … und wir Bären haben jedenfalls sehr gute Ohren!

In meiner Liedertruhe steht der Künstler bzw. die Künstlerin im Normalfall im Hintergrund: Es geht in erster Linie um das Lied, seine Melodie und seinen Text. Aber mir geht es ehrlich gesagt immer auch um die Stimme und in diesem Fall um die gefühlte Aura eines großen Stars. Hier passt alles wunderbar zueinander! Damit aber keine Fragen offenbleiben: Der weltbekannte Star, der mir „Another Spring, Another Love“ dermaßen herzerwärmend zu Gehör bringt, heißt natürlich Marlene Dietrich (Dezember 1901 bis Mai 1992).

And so another dance, another kiss
but waiting behind every door
that other spring
my only love will haunt me forever more

Hier dann doch ein paar Zusatzzeilen über die Ausnahmekünstlerin Marlene Dietrich: im Beruf elegant und perfektionistisch, privat eher unkompliziert; immer nach Freiheit und Unabhängigkeit strebend; aus deutschen Varieté-Nachtclubs zu den Sternen Hollywoods; wurde als Lola Lola im zweiten deutschen Tonfilm „Der blaue Engel“ 1930 über Nacht berühmt; seit 1939 US-amerikanische Staatsbürgerin; im Zweiten Weltkrieg mutige Truppenbetreuung nahe der Front und in Lazaretten; nach 1945 erste deutsche Künstlerin in Russland; sang 1960 in Israel als erste Sängerin überhaupt in deutscher Sprache; einziger deutscher Weltstar; Mutter einer Tochter (geboren 1924); verbrachte die letzten elf Lebensjahre völlig zurückgezogen und alkohol- und tablettenabhängig im Bett ihres Pariser Appartements, telefonierte in ihren späten Jahren noch mehr als der Papi in seinen frühen; war eine großartige Schauspielerin („Das Urteil von Nürnberg“, „Zeugin der Anklage“) und Sängerin („Sag mir, wo die Blumen sind“, „Die Antwort weiß ganz allein der Wind“); ist wahrlich keine Vaterlandsverräterin, sondern ein couragiertes Vorbild für alle denkenden Bären und Menschen. Am Ende nun sei die Inschrift ihres Grabsteins in Berlin zitiert: „Hier steh ich an den Marken meiner Tage“.

Nachtrag ein paar Wochen später: Gemeinsam mit dem Papi habe ich mir inzwischen auch eine (allerdings etwas weniger eindrucksvolle) Aufnahme von „Another Spring, Another Love“ aus dem Jahr 1949 angehört. Das ist also vermutlich die Version aus dem erwähnten Kinofilm. Aber seltsam, im Booklet zu dieser CD werden Friedrich Hollaender als Komponist und Reginald Con(n)elly als Texter des Liedes genannt. Da kenne sich einer aus! Nun, Euer Bryan verlässt sich unter anderem auf die offiziellen Angaben zum Soundtrack von „Marlene Dietrich – Her Own Song“, einem sehenswerten Dokumentarfilm (2002) ihres Enkelsohnes J. David Riva.