Biss vom Bärenbankerl

Nordic Walking: für mich der blanke Horror!

Die gute Nachricht zuerst: Es scheint mir immer weniger davon zu geben. Das liegt aber vielleicht nur daran, dass der Papi auf seinen Lieblings-Radstrecken ein paar Schilder mit der Aufschrift „Achtung Bärenwanderung!“ aufgestellt hat. Die schlechte: Jeder einzelne Nordic Walker ist mir einer zu viel! Mit meiner wütenden Abneigung bin ich nicht allein. Zu den bekanntesten Kritikern dieser sogenannten Sportart gehört der unvergleichliche Kabarettist Dieter Hildebrandt. Und inzwischen gibt es sogar „Das Walker-Hasser-Manifest“ als Buch zu kaufen, geschrieben vom Laufpapst Achim Achilles. Aber echter Hass ist natürlich nichts für mich, mein Fell soll nicht grau werden.

Hier kocht der Chef! … und zwar vor Wut.

Erst mal ein geschichtlicher Überblick: Die Anfänge dieses Sports – und damals war es wirklich einer! – liegen in den 1930er-Jahren: Ausgefuchste Skilangläufer, und wohlgemerkt nur die, integrierten in Sommer und Herbst schnelles Gehen an Stöcken in ihr Konditionstraining. Im deutschsprachigen Raum hieß das Stockgang oder Stocklauf. Ich weiß, da denkt auch Ihr sofort an eine Stockente. Und keine Frage, marktstrategisch wäre Am Stock gehen nicht mal in einem Seniorenheim auf positive Resonanz gestoßen. Allerdings hieß der Stockgang in der amerikanischen Fachliteratur ab 1992 plötzlich Pole Walking (pole in der Bedeutung Skistock, obwohl Pole an sich Pole/Polin und pole auch Pfosten, Nullstelle, Räkelstange und Mast bedeuten kann. Bei Mast denke ich wieder an …, diesmal eine polnische). Als Erfinder des Nordic Walking gilt aber der Finne Marko Kantaneva. Auf einer Sportmesse 1997 präsentierte der damalige Sportstudent einen speziellen Wanderstock, eine Firmenkooperation und den in der Marketingabteilung pfiffig ersonnenen Begriff Nordic Walking. Dies alles und Kantanevas publicityträchtiger Gewinn des Messepreises hatten ab 1998 einen rasanten Anstieg an verkauften Stöcken zur Folge. Verschiedene Verbände zur Verbreitung und Vermarktung der neuen Sportart wurden gegründet. Und dann schrieben die sympathischen Skilegenden Rosi Mittermaier und Christian Neureuther auch noch das Buch „Nordic Walking. Ganzjahrestraining, starke Muskeln, top Kondition, super Figur, gesunde Gelenke“. Spätestens ab da wurde jeder abgewatscht, der sich den inzwischen rund zwei Millionen deutschen Nordisch-Wanderern mit kritischen Fragen in den Weg stellte. Zum Beispiel der Papi. Aber heute helfe ich ihm!

Nordic Walking sieht dämlich aus, es macht viel Krach und sportlich bringt es nichts: Das ist die Kurzversion und gilt nicht nur für vierbeinige Nordic Walker (wir haben Bärli gestern aus dem Schlamm geborgen. Er wollte es unbedingt probieren …). Die etwas längere Version meiner Aversion geht so:

Es sieht dämlich aus: Die meisten von Euch Menschen haben einen wunderbaren Gang. Wollt Ihr mal etwas schneller sein, dann legt Ihr noch einen Gang zu und macht einen Lauf. Gehen und Laufen sind für erwachsene Menschen die natürlichsten Arten des Vorankommens. Es schmerzt mich geradezu, wenn Ihr diese jahrtausendealte Fortbewegung ausgerechnet mit zwei primitiven Stecken optimieren wollt. Für mich sähe es sogar ansprechender aus, Ihr würdet auf allen Vieren Kondition tanken gehen. Wenn ich Euch mit schleifenden Stöcken durch die Gegend hatschen sehe, schäme ich mich fremd! Mit Verlaub, dieses Stöckerlschleifen und -schleppen im Wald würde besser zu einem Dackel passen. So ein Dackel mit Leggings, Trainingsjacke und stolzgeschwellter Hühnerbrust könnte nicht peinlicher aussehen als die vier Wald- und Wiesen-Walker, die den Papi gestern Abend beinahe vom Rad gerissen hätten!

Es macht viel Krach: Kilometerweit kann ich die Nordisch-Wanderer hören. „Lautes Gackern und das asynchrone Einstechen der Nordic-Walking-Stöcke zerstören die Ruhe der Natur“, heißt es in einem Internetforum. Offen gestanden missfällt mir jeder Lärm im Allgemeinen und jeder unnötige Krach im Besonderen. Deswegen finde ich das Getacke und Getöse der Stöcke auf Asphalt mindestens ebenso schlimm und unerträglich wie auf Naturbelägen. Wobei ich ehrlich gesagt auch noch nie verstanden habe, warum manche Menschen (überwiegend sind es Frauen) auf Stöckelschuhen durch die Lande wackeln. Ein Bär käme nie auf diese Idee, vor allem wenn er auf Beuteschau ist. Bei Euch scheint das manchmal umgekehrt zu sein. Doch zurück zu den Nordic Walkern: Wenn sich diese rumpelnden und klackernden Zeitgenossen dann auch noch über einen angeblich lärmenden Mountainbiker mokieren, fahre ich mal wieder aus dem Fell. Und „im Rudel lauthals schnatternd“ – so gefallen mir eben nur Stockenten.

Sportlich bringt es nichts: Das Gehen mit Stöcken gilt als der Gesundheitssport schlechthin. Es soll sanft und für jede und jeden geeignet sein. Die Gelenke, so das Versprechen der ausgebufften Sportindustrie, würden durch die Stöcke im Vergleich zum normalen Gehen um bis zu dreißig Prozent entlastet. Doch vor allem die Zuschreibung „extrem gelenkschonend“ hat Nordic Walking aktuellen Studien zufolge nicht verdient: Die Entlastung der Knie-, Hüft- und Sprunggelenke liegt im Vergleich zum normalen Gehen im besten Falle bei weit unter zehn Prozent. Es gibt sogar Belege dafür, dass die Gelenke eines Nordic Walkers mehr belastet werden als die eines „normalen“ Spaziergängers. Gerade Menschen mit Arthrose oder Problemen in den Schultergelenken tun sich mit Nordic Walking nicht unbedingt etwas Gutes. Nach einer Studie von Sportmedizinern ist bei korrekt betriebenem Nordic Walking der Sauerstoffverbrauch (und damit die Ausdauerbelastbarkeit) um gerade mal fünf Prozent höher als beim Walking ohne Stöcke und ohne zusätzliche Oberkörperbewegungen.

Was die durchschnittliche Fettverbrennung beim Nordic Walking angeht: Nur wer seine Stöcke wirklich einsetzt, verbrennt laut einer Studie 400 Kilokalorien pro Stunde. Der Walker ohne Stöcke kommt dagegen lediglich auf 280 Kilokalorien. Das ist in beiden Fällen ziemlich mau, da schlage ich gleich das Fettverpennen vor. Aber viele Mediziner sind ja schon froh darüber, dass sich die Menschen durch die „Trendsportart“ Nordic Walking überhaupt mal bewegen. Doch ein Hoch auf die lärmenden Nordic Walker werdet Ihr von mir nie hören.

Ich träum, ich wär der Terminator /
und sitze schlapp vorm Ventilator.

Vertiefende Erkenntnisse: Euer Bryan will das Nordic Walking gar nicht kategorisch verdammen. Es gibt nun mal Menschen, die den blanken Horror lieben. Und richtig betriebenes Nordic Walking ist für stark Übergewichtige, Verletzte und Kranke in der Tat meistens eine sehr sinnvolle Sache. Lehrbuchmäßiges Nordic Walking kann durchaus die Muskulatur und den Kreislauf stärken. Speziell beim Berg(ab)wandern sind richtig eingesetzte Stöcke sogar für den Papi äußerst nützlich.

Unter anderem im oben genannten Buch von Rosi und Chris könnt Ihr Euch über den richtigen Bewegungsablauf beim Nordic Walking informieren. Wieso aber sehen der Papi und ich prinzipiell nur solche Walker, die überhaupt keine Ahnung vom korrekten Einsatz der Stöcke haben? Beobachtet einfach mal selbst einen Nordic Walker genauer: Hat der rechte Stock immer dann Bodenberührung, wenn die linke Ferse gerade am Boden aufsetzt? Werden die Stöcke nah am Körper geführt? Wird der jeweilige Stock wirklich schräg nach hinten eingesetzt? Wird „spürbar“ die Muskulatur des Oberkörpers beansprucht, ist die Atmung beschleunigt? Wenn ja, dann könnt Ihr diesen Wanderer freundlich von mir grüßen. Es wird gewiss nicht oft passieren. Wahrscheinlich ist es Chris.

Als ich kürzlich wissen wollte, ob es eigentlich sehr viele Nordic-Walker-Gegner gibt, bin ich sehr erschrocken: In diversen Internetforen wimmelt es nur so von häme-, hass- und frusterfüllten Kommentaren. Deren Widerwärtigkeit und Menschenverachtung stoßen mich ab. „Altes Fett am Stiel“ und „Birnenärsche“, das ist doch ziemlich unflätig. Rücksichtslosigkeit und hässliche Bekleidung gibt es jedenfalls nicht nur beim Nordic Walking. Und wenn schon lästern, dann bitte stets mit einem Augenzwinkern. So schreibt einer über „die Volksseuche“ Nordic Walking: „Ja, das ist richtig schlimm geworden, zumal die einen dann auch noch immer voller Elan und Optimismus dumm angrinsen, wenn man die dann anguckt.“ Und der andere tröstet ihn: „Dafür können die nix. Das Grinsen ist in den Stöcken eingebaut …“

Liebe Freunde, es geht doch nichts über echten Sport und ein ordentliches Work-out. Deswegen gehen der Papi und ich jetzt zum Minigolfen!