TV: TeddyVision

Im Fieber der vier Schanzen

… vergess ich Schwert und Lanzen, so hätte ich mir wohl in früheren Jahrhunderten als später Ritter ganz bitter im Gewitter gedacht. Damals, als mit dem Wort Schanze eine aus einem Erdaufwurf bestehende Verteidigungsanlage gemeint war. Heute dagegen vergessen der Papi und ich sogar Zeit und Raum, wenn es endlich wieder so weit ist: Die Vierschanzentournee führt dazu, dass sich der Papi und ich stundenlang vor dem Fernseher verschanzen …

Für mich die schönste der vier Schanzen: hier der 2003 in Betrieb genommene Schanzenturm der Bergiselschanze in Innsbruck (Foto: www.zumgourmet.at)

Skispringen ist das Einfachste von der Welt, jedenfalls zum Erklären: Es ist eine aus Norwegen stammende (Winter)sportart, bei der die Sportler auf Skiern und in gewöhnlich zwei Durchgängen „den Anlauf einer Skisprungschanze hinabfahren, an einer Rampe (Schanzentisch) abspringen und versuchen, möglichst weit zu fliegen. Bewertet werden neben der Weite auch die Flughaltung und die Landung.“ (www.wikipedia.de) Zum Erfolg braucht es neben Talent, Gesundheit und Selbstvertrauen auch Technik. Und diese Skisprungtechnik wiederum hängt sehr vom verwendeten Material für Skier und Bekleidung ab. Da wird es dann mit dem Erklären viel schwieriger, von wegen Anlaufposition, Absprungtechnik, V-Stil, K-Punkt, Telemark und so.

Deswegen beschränke ich mich heute lieber auf einen kurzen Bericht über einen der traditionsreichsten Winterwettkämpfe von Euch Männern: Die erste Vierschanzentournee, damals noch Deutsch-Österreichische Springertournee geheißen, fand vom 1. bis 11. Januar 1953 statt. Es war die bisher einzige Vierschanzentournee, die in nur einem Jahr ausgetragen wurde. Seither wird zumindest das erste Springen immer im „alten“ Jahr ausgetragen, und zwar am 29. oder 30. Dezember in Oberstdorf. Es folgt das bereits seit 1922 in Garmisch-Partenkirchen ausgetragene Neujahrsskispringen, am 3. oder 4. Januar/Jänner macht die Tournee Station in Innsbruck und gewöhnlich am 6. Januar/Jänner endet sie in Bischofshofen. Bereits seit 1956 überträgt das Fernsehen das Neujahrsskispringen, seit 1957 bzw. 1960 werden alle Tourneespringen am Bildschirm gezeigt. Mit den Kameras kommt Ihr natürlich viel näher ran an die Springer als die Zuschauer unten im Stadion, bibbernd und ohne Bärenfell.

Weiß Gott, die Geschichte der Vierschanzentournee ist zu Beginn eher zäh. Es gab anfangs wenig Beteiligung der Nordländer, dafür aber 1956/58 Bestrebungen, die Tournee mit einem „Weihnachtsspringen“ in der damaligen DDR zu erweitern. Die Älteren unter Euch erinnern sich vielleicht noch an den großen Flaggenstreit 1959/60: Die Verantwortlichen der DDR, die damals weder von der Bundesrepublik noch von Österreich als eigenständiger Staat anerkannt war, bestanden auf der Hissung ihrer Nationalflagge, konnten sich aber nicht durchsetzen. Daraufhin reiste das komplette DDR-Team wieder ab und auch alle anderen Mannschaften der „Oststaaten“. Kaum war das Problem gelöst – es wurde nun die Fahne des jeweiligen Skiclubs gehisst –, kam es nach dem Mauerbau zu einer sogenannten „generellen Sperre des gesamten Sportverkehrs“ zwischen beiden deutschen Staaten. Daher reisten die DDR-Springer bei der 10. Vierschanzentournee erst zu den zwei Springen in Österreich an. Nun, heutzutage verzeichnet die Statistik lapidar 16 deutsche Tournee-Gesamtsiege – und meint damit bis 1989/90 elf DDR-Siege und einen BRD-Sieg.

Hier fantasiert sich Bärli rudernd noch zum Schanzenrekord.
Doch seine Landung wäre womöglich als erster fünffacher
Rittberger in die Geschichte eingegangen, hätte er sie
gestanden … Ein kleiner Bär hat es so schwer!

Seit der Tournee 1964/65 benutzt man Computer für die Ergebnisermittlung. Aber noch lange Zeit bezichtigten sich zum Teil recht rabiat speziell die deutschen und die österreichischen Weitenrichter und Fans gegenseitiger Blindheit … In all den Jahren gab es selbstverständlich viele technische und organisatorische Neuerungen, unter anderem die Videoweitenmessung und das K.-o.-System im ersten Durchgang. Ein enormes wirtschaftliches Gewinnstreben erfolgte besonders in der Zeit, als der Privatsender RTL die deutschen Übertragungsrechte innehatte (also zwischen 2000 und 2007). So finden inzwischen zwei der vier Springen bei Flutlicht statt, nämlich die in Oberstdorf und Bischofshofen. Dieses Flutlicht ist gegen die Ebbe in der Kasse. Offiziell hat die seit 1979 im Rahmen des FIS-Weltcups stattfindende Vierschanzentournee seit Jahren verschiedene Haupt- und Namenssponsoren; dass die österreichischen Springer Thomas Morgenstern und Gregor Schlierenzauer ausgerechnet von Red Bull gesponsert werden, verleiht ihnen ja vielleicht Flügel …

Wichtig für mich zu sagen bleibt, dass die Vierschanzentournee seit Langem zu den prestigeträchtigsten sportlichen Wettbewerben überhaupt zählt. Mit Recht gilt ihr Gewinn als weltmeisterlich, schließlich müssen sich die Springer in vergleichsweise kurzer Zeit auf vier unterschiedliche Schanzenprofile einstellen. 49 Jahre lang konnte kein Gesamtsieger der Vierschanzentournee alle vier Springen einer Tournee gewinnen. Dann kam Sven Hannawald, damals Deutschlands schönstes Flugobjekt. Zigtausend Mädchen und garantiert auch ein paar mager-süchtige (!) Männer flehten „Gebt der Liebe eine Schanze!“ und flogen auf diesen Hanni. Aber Hanni flog weiter und unternahm 2001/02 vier Flüge für die Ewigkeit: Zum ersten Mal gelang es einem Athleten, alle vier Springen zu gewinnen.

Die Freud’ so groß, der Ruhm famos: Wie waren
wir 2002 von Sven Hannawald begeistert!

Ja, Euer Bryan findet schon, dass Skispringer besondere Menschen sind. Unterwegs zwischen Himmel und Erde, monatelanges Training und stundenlanges Warten für ein paar wenige Sekunden des Glücks in höchster Gefahr. Ist mir bärsönlich aber viel lieber, als wenn Ihr Menschen ein Pferd zu Höchstleistungen quält oder wenn etwa im Motorsport die Leben vieler anderer gefährdet werden. Über meine Ansicht zum Nordic Walking habe ich Euch ja bereits ausführlich informiert … noch schlimmer wäre aus meiner Bärspektive nur der Teddybären-Weitwurf.

So, das erste Springen der 58. Vierschanzentournee hat gestern der Österreicher Andreas Kofler vor dem fünffachen Gesamtsieger Janne Ahonen aus Finnland gewonnen. Die ausstehenden Termine der 58. Internationalen Vierschanzentournee im Fernsehen und gleichzeitig vor Ort:
2. Station Garmisch-Partenkirchen: die Qualifikation am 31.12.09 ab 13.45 Uhr, das Neujahrsskispringen am 01.01.10 um 14.00 Uhr (jeweils ZDF/ORF1);
3. Station Innsbruck: die Qualifikation am 02.01.10, der Wettbewerb am 03.01.10 (jeweils ab 13.45 Uhr, ZDF/ORF1);
4. Station Bischofshofen: die Qualifikation am 05.01.10, das Dreikönigsspringen am 06.01.10 (jeweils ab 16.30 Uhr, ARD/ORF1). Bitte drückt allen Springern die Daumen, auf dass kein Unfall geschieht!

Und wenn der Papi beziehungsweise das ZDF selbst gleich nach dem nächsten großen Konzert der Wiener Philharmoniker nach Garmisch-Partenkirchen schaltet, dann weiß ich: Wir schreiben tatsächlich den 1. Januar 2010. Guten Flutsch!