Bryan hört Musik Mensch des Monats

Insel meiner Träume – zum Leben von Margot Werner

Wie gerne, liebe Freunde, hätte ich Euch schon vor langer Zeit von einem gelungenen Comeback berichtet. Vom erfolgreichen Wiederkommen einer Grande Dame, deren Stimme den Papi und mich bereits vor vielen Jahren so manches Lied lang in den Bann gezogen hat. Ein dunkel-zärtliches Timbre voller Sehnsucht, eine starke Persönlichkeit, eine Entertainerin mit Format und Grandezza.

Bärli ist grad bei mir zu Besuch und staunt: So frisch
sieht Margot Werner im Jahr 2004 aus. (Foto: ZDF)

Doch nie wird sie wiederkehren. Nur unsere Erinnerung an sie und ihre Stimme wird bleiben. Und die Erinnerung an ihr so trauriges Ende. Ach, wie viele schöne Lieder hätte es noch geben können …

Ja, Euer Bryan trauert aufrichtig. Denn wie banal lauteten die Meldungen Anfang des Monats: „Die Sängerin und Tänzerin Margot Werner ist in München gestorben. Sie stürzte aus dem dritten Stock einer Klinik und erlag ihren Verletzungen. Sie wurde 74 Jahre alt.“ Also wenn ich richtig unterrichtet bin, hat sie schon sehr lange nicht mehr getanzt und auch schon länger nicht mehr gesungen. Es war sehr ruhig um sie geworden – praktisch nur noch einmal jährlich stand sie im Rampenlicht, wenn nämlich die Fotografen und das Publikum bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth auf Margots neueste außergewöhnliche Modekreation samt dramatischem Kopfputz warteten. Keine Villa in Grünwald mehr, sondern eine Sozialwohnung im Münchner Osten. Keine eigene Personalityshow im Hauptabendprogramm, keine Auftritte und Schlagzeilen mehr, vermutlich in letzter Zeit nur noch (Nerven-)Schmerzen und Depressionen. „Sie stürzte“, heißt es sachlich richtig, anstatt „Sie stürzte sich“ oder gar „Sie sprang“ zu schreiben. Eines ihrer späten Lieder heißt „Ich steh das durch“, doch nun waren ihre Kraft und ihr Wille wohl erschöpft. Und ein letztes Mal rauschte der Blätterwald.

Ihr wisst so wenig. Wir wissen alle so wenig. Wurde die ehemalige Ballettdiva am letzten Junidonnerstag „wegen nervlicher Probleme stationär in die Neurologische Abteilung des Klinikums Bogenhausen aufgenommen“, wie die einen sagen? Oder „wegen massiver Nervenbeschwerden in der Schulter“, wie die anderen schreiben? Nahm Margot Werner sich das Leben, weil sie nicht zum Pflegefall im Rollstuhl werden wollte? Oder war es gar eine panische Selbsttötung aus Liebe zu ihrem langjährigen Ehemann, der offenbar ebenfalls ziemlich krank ist und dem sie keinesfalls zur Last fallen wollte? Nein, bitte keine weiteren Schlagzeilen. Für den Papi und mich ist am vorletzten Sonntag eine wunderbare deutschsprachige Unterhaltungskünstlerin gestorben, Friede sei mit ihr und die Erinnerung in uns.

Und wieder perfekt ausgeleuchtet: Bei Carmen Nebel feiert
die Werner 2007 ihr rundes Bühnenjubiläum. (Foto: ZDF)

Margot Werner wurde am 8. Dezember 1937 in Salzburg geboren. Obwohl ihr Vater, ein weltgewandter Kaufmann, erst sehr spät aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, verlebt sie eine behütete Kindheit, zunächst bei der als Konzertpianistin tätigen Mutter und den Großeltern. Bis zur mittleren Reife besucht sie das humanistische Mädchengymnasium der Ursulinen. Bereits mit vier Jahren erhält das zielstrebige Mädchen Ballettunterricht, es folgen klassische und strenge Tanzausbildungen am Salzburger Landestheater, bei der Tanzpädagogin Friderica Derra de Moroda (Juni 1897 bis Juni 1978) und im Kinderballett der Bayerischen Staatsoper in München. Eben das Bayerische Staatsballett engagiert dann die 17-jährige Tänzerin, 1957 avanciert sie dort zur Vortänzerin und wird mit 22 Jahren Primaballerina. In dieser Zeit heiratet sie ihren ersten Ehemann, den um 21 Jahre älteren Schauspieler und Synchronsprecher Peter Pasetti (Juli 1916 bis Mai 1996). Margot Werner brilliert in zahlreichen Balletten und bleibt weit mehr als zehn Jahre lang Primaballerina des Bayerischen Staatsballetts. Allerdings steht sie immer etwas im Schatten der anderen Solotänzerin dort, nämlich Konstanze Vernon (und die Schatten sind lang: Das Onlinelexikon Wikipedia nennt in seinem langen Artikel über das Bayerische Staatsballett momentan nur die Vernon!).

Anfang der 1970er-Jahre beginnt Margots langer Weg als Sängerin: Der (Film-)Komponist Bert Grund (Januar 1920 bis März 1992) hatte drei Lieder für sie kreiert, erste Konzerte folgten, mehrere Monate lang gastiert sie 1973/74 in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft mit der ihr auf den Leib geschriebenen zweieinhalbstündigen One-Woman-Show „Auf den Song gekommen“. Im Münchner Residenztheater steht sie alsbald als Spelunken-Jenny auf der Bühne, träumt in Bert Brechts neu inszenierter Dreigroschenoper 48 Vorstellungen lang von einem Schiff mit acht Segeln und 50 Kanonen (Kenner, Ihr wisst Bescheid!). Genau in jener Zeit erlebt sie einen herben privaten Verlust: Der Tod ihres geliebten Vaters „zerstört ihre strahlende Lebensfreude“ (www.margotwerner.de). Ihre Sangeskarriere setzt sie nichtsdestotrotz fort. Margot Werners erste Langspielplatte „Und für jeden kommt der Tag“ erscheint 1974. Parallel zu zahlreichen Auftritten erobert die tanzende Chansonsängerin schließlich auch das Fernsehen: Unter anderem für die „Margot-Werner-Show“ erhält sie 1975 die Goldene Europa als „Interessanteste Neuentdeckung des Jahres“. In ihrer ausgezeichneten Personalityshow legt die Werner mit Klaus Kinski (Oktober 1926 bis November 1991) nicht nur einen legendären Tango (genauer gesagt die Tango-Ballade aus der erwähnten Dreigroschenoper) aufs Parkett. Nein, an ihrer Seite glänzt zudem der begnadete Bühnenpartner ihrer nun zu Ende gehenden Ballettjahre, der junge und unvergleichliche Weltklassetänzer Heinz Bosl. Er war inzwischen auch privat ihr Gefährte geworden. Doch herrje, es wird gefühlvollen Menschen und Teddys sehr weh ums Herz, wenn sie in alten Aufzeichnungen aus dieser TV-Show die überirdisch schöne Darbietung der beiden Solotänzer bewundern. Denn für den bereits schwer leukämiekranken 28-jährigen Heinz Bosl (November 1946 bis Juni 1975) war es der letzte Pas de deux seines Lebens. Später wird Margot über ihn sagen: „Das Altern ist ihm erspart geblieben.“

Bleiben wir zunächst bei Privatem: Denn Ende 1977 und nur gut ein Jahr nach der Aufnahme ihres bekanntesten Liedes „So ein Mann“ passiert es: Margot Werner verliebt sich in den damaligen Tiroler Gastronomen Jochen Litt, den sie im Mai 1978 heiratet. Kennengelernt hatte sie den Juniorchef des Hotels „Berwanger Hof“ im Tiroler Ferienort Berwang auf der dortigen Gala eines Hamburger Zigarettenkonzerns – doch wo sind jetzt Eure Aufkleber „Rauchen fördert das Glück“? Jochen Litt wird bis ans damals ferne Ende ihrer Tage ihr Ruhepol, ihr Manager, ihr Berater – und er hilft „Ninchen“, nur wenige Monate nach der Hochzeit, über den Tod der Mutter hinwegzukommen. Ihre Liebe zu Jochen beschrieb Margot in verschiedenen Interviews so: „Er ist eigentlich mein Alles. Der einzige wirkliche Pol in meinem Leben, der mir Geborgenheit gibt. Ich muss nur seine Hand halten, und dann ist alles gut.“

Nun aber ist unübersehbar: Margot Werners Sorgen schlagen sich in ihrem
Gesicht nieder. Einer ihrer letzten TV-Auftritte (aufgezeichnet im Oktober 2009)
in der Talk- und Kochsendung „Lafer! Lichter! Lecker!“
(Hintergrundbild von Udo Grimberg, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 DE)

Konzerte, Tourneen, TV-Shows, viele weitere Plattenaufnahmen … und es hätte alles so schön weitergehen können. Doch etwa Anfang der 1980er-Jahre wendete sich das Blatt. Der Papi kann sich noch dunkel an böse Schlagzeilen erinnern: „Frau Werners Gewerbe“ hieß eine davon. Ob böse berufliche Konkurrenz oder anderweitig begründeter Neid und Missgunst die spitze Feder führten, bleibt ungewiss. Fakt ist, dass es karrieremäßig seit dieser Zeit praktisch stetig bergab ging. Zwar trat Margot Werner noch bis in die 1990er-Jahre regelmäßig als Sängerin und – Achtung! – als Conférencieuse auf (dieses Wort haben der Papi und ich bisher in keinem der vielen Nachrufe gefunden. Es steht aber im Fremdwörter-Duden. Und der Papi verzieht beim Aussprechen den Mund immer so schön …). Selbst die eher peinliche und veraltete Margot-Werner-Website mit ihrem Erfolgsgesäusel vermeldet auch heute noch: „Ganz wesentlich sind die jährlichen Auftritte auf der ‚MS EUROPA I‘, 20 Jahre Präsenz bei der Funkausstellung in Berlin …“ Ach Margot! Ein Comeback-Versuch 2007 zum 50-jährigen Bühnenjubiläum und mit „neuer“ CD blieb ziemlich erfolglos („versandete bei Carmen Nebel“, lästerte Serafino gestern, was besonders den Bärli schmerzte). Und irgendwann war Margot eine Marginalie …

Sie hatte – vielleicht blind vor Liebe – immer mehr Geld in das von der Pleite bedrohte Vier-Sterne-Hotel ihres Mannes gepumpt, man munkelt von insgesamt rund 1,6 Millionen Euro. Aber vergeblich: 2005 ging der „Berwanger Hof“ endgültig in Konkurs und Margot Werner verlor ihr gesamtes Vermögen, ihre Villa in Grünwald und ihre Wohnung in Salzburg. Über diesen Tiefpunkt sagte sie später: „Das wäre ein guter Augenblick gewesen, um unter der Linde in meinem geliebten Garten diese Welt zu verlassen. Aber ich hatte nicht die Courage dazu.“ Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude berichtet von einem Brief, in dem ihm die Künstlerin seinerzeit ihre verzweifelte finanzielle Lage schilderte. Seitdem wohnte das Ehepaar Werner-Litt in einer Sozialwohnung.

Liebe Freunde, ruhmreich und ruhmarm, Margot Werners Ende finde ich sehr tragisch. Doch was genau in ihrer Karriere ist schiefgegangen? Die Kritikerin Eva-Elisabeth Fischer schreibt in der Süddeutschen Zeitung aus meiner Sicht ganz vorsichtig: „Bei ihrer zweiten Karriere hatte sie nicht die besten künstlerischen Berater. Sie blieb eine Marlene fürs Hausgemachte. Der Autor ihrer Biografie und zahlreicher ihrer Texte war der Boulevard-Feuilletonist Maurus Pacher.“ Himmel nochmal, warum nahmen sich nicht die besten Eurer Komponisten und Texter ein wenig Zeit für „die rauchig-gutturale Altstimme“ (ebenda)? Zarah Leander hatte ihren wunderbaren Bruno Balz (Oktober 1902 bis März 1988), doch für die unverwechselbare deutsch-österreichische Stimme der Margot Werner gab es anscheinend niemanden … Geradezu skandalös findet Euer Bryan auch, dass nur wenige ihrer alten Schallplattenaufnahmen auf CD verfügbar sind! Auch das hat die sympathische und im wahren Leben eher unkapriziöse „Diva“ (im Übrigen ein echter Fußballfan, mein Lieblingszitat von ihr aus dem Jahr 2011: „Ich hab den Schweini so gern!“) nicht verdient.

Wie wir alle in der Bärenrunde behält Bärli die Margot Werner lieber
so in Erinnerung. (Copyright Hintergrundbild: picture-alliance/KPA)

Praktisch jeder Künstler, so kommt es mir jedenfalls vor, landet bei Euch Menschen schnell in einer Schublade. Um erneut der Frau Fischer das Wort zu geben: Margot Werner „kultivierte den Hang zum Glamour und zum großen Auftritt im glitzernden Paillettenschlauch. … eine in die Jahre gekommene Klatschspaltenschönheit. Sie war der Typ Frau, auf den die Schwulen stehen, begabt mit einem Damenbass und kumpelhaftem Naturell, hochgewachsen, erst mit blonder, dann feuerroter Mähne, Balkenlidstrich mit Schmetterlingsschwung.“ Also bitte, Matrone, Wuchtbrumme oder Schwulenikone – es scheint für Euch Menschen so leicht zu sein, gerade einen künstlerischen Menschen auf ein einziges (Schmäh-)Wort zu reduzieren. Natürlich gefallen auch mir nicht alle von Margots Liedern und ich bärsönlich bevorzuge eindeutig die traurig-sentimentalen. Hört ruhig selbst mal rein in das ein oder andere Margot-Werner-Chanson, etwa auf www.youtube.com. Lauscht etwa dem Satz „Ein Flügelschlag ist meine Gnadenfrist“ aus dem Lied „Bleib die kleine Stunde bis zum Morgen“, das die ewig junge Konstellation ältere Frau/jüngerer Mann zum Thema hat.

Wir in unserer Bärenrunde werden zusammen mit dem Papi künftig und zünftig sicherlich ab und zu eine Margot-Werner-Gedenknacht feiern. Am 27. Juli erscheint passenderweise eine CD mit dem Titel „Wasser, Feuer, Luft und Erde“ (im Original ihre zweite Langspielplatte aus dem Jahr 1976, nun „digitally remastered“ und um zwei Bonustitel ergänzt). Zum Schluss will ich Euch nun doch noch mein Lieblingslied von Margot Werner verraten. Es ist einst die B-Seite ihres erwähnten Ohrwurms gewesen und heißt „Insel meiner Träume“:

„… jadegrüne Wellen schlagen / an die Festung ganz aus Stein
ihre dunklen Fensterhöhlen / sind wie Augen überm Meer
vor uns liegt ein kleiner Hafen / und mein Herz, mein Herz ist schwer.

Insel meiner Träume / lass mich, Kapitän
nur für eine Stunde / diese Insel sehn
Insel meiner Träume / Kapitän, ein Wort:
Warum führt Dein Kurs dich / von der Insel fort?

… einer liegt da wohl gefangen / einer, von dem keiner weiß …
… meine Sehnsucht trägt der Wind fort / und das Meer, das Meer ist tief.“

Und unergründlich ist das Leben. Ihres und unseres. Möge Margot nun auf der Insel ihrer Träume glücklich sein! Gute Nacht, liebe Freunde.