Biss vom Bärenbankerl

Ich bin für die Ente mit 67!

Liebe Freunde, zugegeben, diese Überschrift führt Euch vermutlich auf eine völlig falsche Fährte. Sie ist nämlich überhaupt nicht despek-tierlich gemeint. Immerhin wird die Ente im Buddhismus als Sinnbild für die Unterdrückung des Bösen angesehen. Speziell die Mandarinente steht in China wegen ihrer ausgeprägt monogamen Lebensweise für eheliche Treue. Ich liebe Enten! (schmatz, schmatz …)

Der Papi hat mir – natürlich aus Daunenfedern – gerade ein Wälzlager eingerichtet, auf dem ich mich nach Herzenslust hin und her drehen kann. Und endlich bin ich da, wo ich hinwill: Heute breche ich nämlich eine Wanze für eine inzwischen berühmte fränkische Unternehmerlady. Von Bohlen hin und Halbach her: Bryan bittet Euch nun zum Schaeffler-Tanz!

Die heute 67-jährige Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler auf einem „Werksfoto“, www.ina.de

Maria-Elisabeth Kurssa wurde am 17. August 1941 im schönen Prag geboren. 1945 flüchtete ihre Familie nach der Enteignung ins ziemlich zerbombte Wien. Dort begann Maria-Elisabeth im Jahr 1960 ein Medizinstudium. Doch sie brach ihr Studium im sechsten Semester ab: Ein 24 Jahre älterer Mann aus dem fränkischen Herzogenaurach war ihr über den Weg gelaufen! Eine eindrucksvolle Mauser begann. Sie brachte zwei Söhne zur Welt und es vergingen arbeitsreiche Jahrzehnte an der Seite einer angesehenen Unternehmerpersönlichkeit: 1946 hatte ihr späterer Ehemann Georg Schaeffler zusammen mit seinem Bruder Wilhelm die heutige INA Holding Schaeffler KG gegründet und 1949 mit der Erfindung des Nadelkäfigs die technische Entwicklung von Wälzlagern revolutioniert. (Bei Wälzlagern ist Käfighaltung ausdrücklich erwünscht.) Diese Wälzlager kommen unter anderem im Fahrrad-, Automobil- und Flugzeugbau sowie in Zahnarztbohrern zum Einsatz.

Nach dem Tod ihres 79-jährigen Mannes im August 1996 leitete Maria-Elisabeth Schaeffler die Firmengruppe zunächst eher im Verborgenen, zusammen mit ihrem Sohn Georg (ihr zweiter Sohn kam vor vielen Jahren bei einem tragischen Unfall ums Leben). Sie baute das Unternehmen stark aus – Umsatz, Investitionen und Beschäftigtenzahl stiegen jeweils um das Dreifache! „Die Schaefflerin“ galt als eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft. Doch ob ihr Privatvermögen heute nun drei oder fünf Milliarden Euro beträgt, ist mir egal: Wichtig ist, dass die INA Holding Schaeffler KG als eines der 50 größten deutschen Unternehmen bei einem Umsatz von fast 9 Milliarden Euro derzeit weltweit 71.000 Mitarbeiter beschäftigt! Die kunst- und kulturbegeisterte Frau Schaeffler (ich sage nur: Wien!) erhielt im Lauf der Zeit zahlreiche in- und ausländische Orden, Ehrungen und Auszeichnungen. Damit könnten wirklich viele Teddybären ordentlich behängt werden!

Doch das Verhängnis nahm seinen Lauf: Alle ihre Verdienste um Wirtschaft, Umwelt, Kultur und Soziales gerieten völlig in den Hintergrund, als sich „die listige Witwe“ Mitte 2008 anschickte, den dreimal so großen Hannoveraner Traditionskonzern Continental zu übernehmen. Erst ein Wirtschaftskrimi, dann ein Wirtschaftsdrama; über die augenblickliche Situation schreibt ein Branchenkenner: „Frau Schaeffler steht auf einer Brücke: Vor ihr wütet ein Wirbelsturm, hinter ihr tobt ein Erdbeben.“

In einem großen SPIEGEL-Interview (Heft 13/2009) nahm Maria-Elisabeth Schaeffler kürzlich zusammen mit ihrem Sohn Georg F. W. Stellung. Euer Bryan hat dieses von Armin Mahler und Janko Tietz geführte Interview sorgfältig gelesen. Nun wünsche ich mir einfach, dass differenzierter als bisher über die angebliche Hasardeurin (also eine verantwortungslose Zockerin) berichtet wird. Und Alexis Carrington-Colby ist auch jemand ganz anderes! Danke, sagt (nicht nur) der Franke.

Ein paar bedenkenswerte Einzelheiten, erstens: Leider ist das öffentliche Auftreten von Maria-Elisabeth Schaeffler offen gesagt unter aller Sau. Nicht nur Euer Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL nennt das Erscheinungsbild der Milliardärin im Pelzmantel verheerend. Euer Arbeitsminister lästert gar: „Man kann nicht im Nerzmantel um Staatshilfe bitten.“ Ich vermute, genau deswegen nimmt sie nächstes Mal lieber wieder den Persianer …

Nach ihrer eigenen Aussage ist es im Übrigen „schwer zu ertragen, so als vermeintliche Milliardärin stigmatisiert, mit Häme überschüttet und auf den Kleiderschrank reduziert zu werden. … Was spielt es für eine Rolle, ob eine Dame bei minus acht Grad einen Pelzmantel trägt?“ Die arme Frau! Nun, ich selbst bin ja sogar bei 35 Grad im Schatten ausschließlich im Pelz unterwegs, ohne dass sich wer darüber aufregt. By the way, einen großen Teil des Tages verbringen Entenvögel mit der Pflege des Gefieders … Dabei hat Frau Schaeffler so recht: „Es sollte um die Sachargumente gehen, und nicht um die Frage, ob man im Büßerhemd erscheint. Ich gebe aber zu, dass ich es dadurch ohne Absicht einigen leichtgemacht habe, hieraus populistisch Kapital zu schlagen.“ Ja, Kapital ist hier wirklich ein gutes Stichwort!

Zweitens: Mit der Continental-Übernahme hat sich die Schaeffler-Gruppe offensichtlich verhoben: Ihr fehlen momentan mindestens elf Milliarden Euro Kapital, vermutlich 70 Millionen Euro Schuldenzinsen sind Monat für Monat fällig! Da kann einem schon der Schnabel auf Grundeis gehen!

Doch hört Euch dazu den Georg F. W. Schaeffler an: „Im Nachhinein ist man immer schlauer. … Mit dem Wissen von heute hätte man eine solche Transaktion mit dieser Verschuldungsthematik sicher nicht gemacht. … Wir gehen in die Analyse mit der Gnade des Rückblicks. Die Daten im Sommer 2008 waren positiv. Die Frage ist deshalb: Haben wir uns verzockt? Nein! Sind wir ein unternehmerisches Risiko eingegangen? Ja! Aber das ist Teil des Unternehmertums. Diese Transaktion wurde vorher von vielen sehr berufenen Experten begutachtet und für gut befunden. Kein Bankenkonsortium gibt Ihnen eine 16-Milliarden-Euro-Finanzierung, wenn eine Transaktion als unkalkulierbares Risiko empfunden wird.“ Mal ehrlich, mein lieber Herr, Banken haben noch ganz andere Dinge vollbracht! Mein kompetenter Freund Serafino fragt sich gar, ob die Banken nicht schon damals eher früher als später die komplette Schaeffler-Gruppe schlucken wollten?!

Eine riskante, aber schlau eingefädelte Aktion, dann ein Knall und sehr viel Pech und Schwefel: Stellt Euch vor, Ihr hättet den Continental-Aktionären ein wirklich faires Übernahmeangebot unterbreitet und Euch gehörten bereits die gewünschten 60 Prozent der Conti-Aktien. Aber ausgerechnet drei Tage vor dem Ende der Annahmefrist geht ein riesiges Bankhaus in Konkurs (das berühmte Lehman Brothers Inc.) und die Finanzmärkte kollabieren. Und Ihr müsst plötzlich weitere 30 Prozent der Conti-Aktien zum vereinbarten hohen Preis übernehmen – im konkreten Fall ein Verlust von 3,8 Milliarden Euro! Gleich danach stürzt auch noch der Aktienkurs um 80 Prozent ab und wegen der folgenden Rezession brechen zudem Umsatz und Auftragseingänge massiv weg. Da sehe ich förmlich die Felle davonschwimmen! Aber muss wirklich Euer Staat diese Felle wieder einsammeln? Das ginge mir gegen den Lidstrich …

Eines dieser verheerenden Bilder: „die Schäfflerin“ im Januar 2009 in Kitzbühel (Copyright: FTD/Andreas Rentz/Getty Images)

Drittens: Auch ich und meine Bärenfreunde haben schon viel Mist gebaut. Dann waren Selbsterkenntnis und Eingestehen die ersten Schritte zur Besserung. Hören wir uns zum Übernahmeplan Frau Schaeffler an: „Es war kein Größenwahn von uns. Wir haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht, sie war und ist industriell richtig, vor allem, wenn man sich die tiefgreifenden Veränderungen in der Automobilindustrie ansieht. Die Hersteller wollen Zulieferer, die sowohl Mechanik als auch Elektronik anbieten. … Unser Fehler war, dass wir die Zukunft falsch eingeschätzt haben. Da hilft es auch nicht, dass wir uns dabei in bester Gesellschaft befanden, auch wenn das viele heute nicht mehr wahrhaben wollen. … Unser Unternehmen ist – wie viele andere auch – in eine Situation geraten, die wir nicht allein zu verantworten haben. Es hat eine gravierende Veränderung der Weltwirtschaft gegeben, mit der keiner rechnen konnte. Diese Veränderung ist zum Teil politisch und zum Teil durch die Banken verschuldet. Insofern steht auch der Staat in einer Verantwortung.“

Viertens, mein Fazit: Die „Familienunternehmerin des Jahres 2004“ hat größte Verdienste um die deutsche Wirtschaft. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie entgegen vielen Befürchtungen die Schaeffler-Unternehmensgruppe nicht zerschlagen und nicht verkauft. Vielmehr hat sie den Firmenverbund zu neuer Blüte geführt, Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen und erhalten. Respekt! Nun schauen so viele von Euch Menschen voller Schadenfreude nach Herzogenaurach. Ich aber sitze auf meinem Wälzlager und überlege: Hat sich Napoleon auch mal so gefühlt wie Frau Schaeffler? Kann man aus Fehlern lernen? Ich sag ja und sorry, ich mag die kämpferische Lady halt. Eleganz ist nicht Arroganz, und warum kein Wiener Glanz beim Tanz auf dem Vulkan?

Hört Euch ihre Worte unvoreingenommen an: „In dem Zusammenhang muss man betonen, dass wir kein Geld geschenkt bekommen wollen. Wir bitten um eine temporäre Unterstützung, um Zeit zu gewinnen. Irgendwann wird sich die Wirtschaft erholen. Dann werden wir alles mit Zinsen zurückzahlen. Der Steuerzahler wird nicht geschädigt. Wir sind als Unternehmen hervorragend aufgestellt. Deswegen werden wir bei einem Aufschwung auch wieder schnell zu unserer alten Stärke zurückfinden. … Es gab und gibt ein hervorragendes Management. Das Unternehmen hängt nicht an einer Person. … Mein Mann war mein Lehrmeister, er hat in mir die Liebe zu diesem Unternehmen geweckt. … In diesem Unternehmen steckt nicht nur unser Vermögen, sondern auch unser Herzblut. Ich weiß nicht, ob es realistisch ist, so eine Haltung von einer Bank oder einem Finanzinvestor zu erwarten. Deren Agenda muss eine andere sein.“ Wo Maria-Elisabeth Schaeffler recht hat, hat sie recht. Aber jetzt gibt’s erst mal Entenfrikassee!

PS: Das war doch ein sehr friedlicher Biss vom Bärenbankerl, oder? Freilich ist es für einen Eintrag in der Rubrik Mensch des Monats noch viel zu früh. Und wer weiß, was bis August geschehen sein wird? Einen interessanten Artikel mit gänzlich anderer Intention (Verstrickung der Schaeffler-Gründer im Nationalsozialismus! Über Aufstieg und Fall der Schaeffler-Gruppe) hat der Papi für Euch unter www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29755/1.html gefunden. In jedem Falle sehr lesenswert!