Bryan hört Musik Mensch des Monats

Melina ist mein erster Mensch des Monats

Die große Griechin und ich!

In der Kategorie „Mensch des Monats“ will ich zukünftig Menschen näher vorstellen, die mir und meinem Papi viel bedeuten. Wenn Papi abends zum CD-Player marschiert, ahne ich meistens zu Recht: Gleich erklingt eine Stimme, die auch mir so richtig tief unters Fell geht!

Dabei rege ich mich noch heute sehr drüber auf: Mein Papi wurde nämlich vor genau drei Jahren in einer dieser unmöglichen Qualifizierungsmaßnahmen der Agentur für Arbeit zu einem Referat gezwungen! Na gut, er hat nichts über seine Teddybären verraten, sondern eine außergewöhnliche Frau vorgestellt. Vielleicht lest ihr jetzt mal Papis damals vorgetragenen Text mit dem Titel

„Keine Dame, aber eine tolle Frau“.

Willkommen! Wie Ihr alle wisst, habe ich mich über die Einladung zu dieser Präsentation von ganzem Herzen gefreut … Weil ich die Dinge meines Lebens gerne zelebriere, widme ich die folgenden Ausführungen erst mal jemandem, und zwar dem Daniel in der Löwengrube.

Ich präsentiere Euch eine Sängerin, die, wie es in Portraits immer so schön heißt, „nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprach“. Aber zu ihrem Begräbnis sind rund eine Million Menschen gekommen! Und weil alle wussten, wie außerordentlich gerne sie geraucht hatte, warfen Tausende Menschen volle Zigarettenschachteln in ihr Grab. Ich dürfte also gar nicht sagen, wo sie begraben liegt, sonst sind womöglich einige Raucher gleich unterwegs …

Doch blenden wir erst mal weit zurück, ins Jahr 1955: Eine in ihrem Heimatland und in der Theatermetropole Paris bereits bekannte Schauspielerin und Sängerin kommt hoffnungsvoll und ehrgeizig zu den Filmfestspielen nach Cannes. Sie hat gerade ihre erste Film-Hauptrolle gespielt, eine leidenschaftliche, freiheitsliebende Sängerin, und sie will dafür eine Goldene Palme. Aber sie geht leer aus und ist darüber maßlos enttäuscht, sie weint vor allen Leuten. Noch am gleichen Abend verliebt sich allerdings ein bereits damals sehr bekannter Regisseur in sie, was beider Leben völlig umgestalten wird …: Er verlässt nach einigen Monaten seine Ehefrau und drei Kinder und folgt der großen Liebe seines Lebens in ihr Heimatland. Und er begründet fünf Jahre später ihren Weltruhm mit einem Spielfilm, in dem sie eine lebenslustige Dirne darstellt und dessen Titelsong ein Welthit wurde.

Dieses Lied hat sie mit rauchgeschwärzter Stimme einst auch auf Deutsch gesungen – und gesprochen: „Ichch bin ein Määdchen von Pirräus, und wänn einess Taages mein Herrz ich mal verrliierr, dann musss es einerr sein vom Hafen, nurr so einen Burrschen wünsch ichch fürrs Leben mirr.“

Es wird, glaube ich, höchste Zeit, ihren Namen zu nennen (und zu schreiben: MEPKOYPH). Es ist eine impulsive, energiegeladene, schwierige, widersprüchliche, die Menschen polarisierende Frau mit grünen Augen, es ist die große Griechin oder auch „die Frau, die Griechenland war“, wie eine Filmdokumentation über sie untertitelt ist: nämlich Melina Mercouri.

Melina Mercouri wurde als Amalia-Maria [andere Quellen: Anna Amalia] Mercouri am 18. Oktober 1920 [andere Quellen: 1925] in Athen geboren. Sie wuchs in einem großbürgerlichen Elternhaus auf – ihr geliebter Großvater war dreißig Jahre lang Oberbürgermeister von Athen. Es drängte sie schon früh zur Bühne – entgegen dem Familienwillen. Lapidar heißt es dazu in Wikipedia:

„Nach dem Abitur heiratete die damals 16-Jährige heimlich einen älteren, reichen Geschäftsmann, ging zur Schauspielschule und begann zielstrebig am griechischen Nationaltheater mit kleineren Auftritten. Die Ehe währte nicht sehr lange, die Liebe zum Theater lebenslänglich.“ [Nach anderen Angaben dauerte ihre erste Ehe von 1941 bis 1962!] 1955 begann dann mit dem bereits erwähnten Film „Stella“ ihre Filmkarriere, in Cannes traf sie den nach Europa ausgewanderten US-amerikanischen Regisseur Jules Dassin, beide heirateten im Jahr 1966.

Dassin dreht mit seiner (späteren) Frau unter anderem die Hafenkomödie „Never on Sunday“ („Sonntags nie!“, 1960, nun endlich erhält sie die Goldene Palme!) und die Gaunerkomödie „Topkapi“ (1964), die sicher ein paar von Euch kennen: An der Seite von Peter Ustinov und Maximilian Schell spielt Melina eine Diebin mit ausgeprägtem Hang zu funkelnden Juwelen und schönen jungen Männern. [Sie hat es auf den größten Schatz des Topkapi-Museums abgesehen, leider macht ihr ein kleiner Vogel einen Strich durch die Rechnung.]

Eine weitere wichtige Station ihrer Karriere: Das auf „Never on Sunday“ basierende Musical „Illya Darling“ führt Melina Mercouri 1967 nach New York, an den Broadway. Als wenige Wochen später die griechische Regierung von den Obristen gestürzt wird und die Mercouri öffentlich gegen diese Militärdiktatur Stellung bezieht, erkennt das Regime ihr die Staatsbürgerschaft ab. In der Folge sagt sie ihre vielleicht berühmtesten Worte: „Ich bin als Griechin geboren, und ich werde als Griechin sterben!“ [Ihre 1971 erschienene Biografie heißt denn auch: „Ich bin als Griechin geboren“.]

Für die nun staatenlose und enteignete Mercouri brechen harte und traurige Zeiten an, was auf Portraitaufnahmen von ihr aus diesen Jahren unschwer zu erkennen ist. Von 1967 bis 1974 lebt sie mit ihrem Mann vorwiegend in Paris; dort entstehen nun auch viele ihrer Lieder, von denen ich fast alle sehr mag. Sie singt mal langsam und mal schnell, mal leise und mal laut, mal heiter-verspielt und mal sehr melancholisch-traurig. Das Timbre und die Wärme ihrer rauchigen Stimme berühren und bewegen mich im Innersten.

Drei Zitate von ihr können vielleicht den Menschen Melina charakterisieren. So sagte sie über die amerikanische Gepflogenheit, bei Künstlerinnen Brustumfang und Hüftweite anzugeben: „So misst man in Griechenland höchstens das Vieh. Eine Schauspielerin wird bei uns nach ihren Augen, ihrer Seele und ihrem Können gemessen!“ Über Freundschaft meinte sie: „Bei den Freuden meiner Freunde kann ich abwesend sein. Bei ihrer Trauer aber bin ich bei ihnen, da werde ich nie fehlen.“ Und über sich selbst sagte sie: „Im Grunde bin ich ein Faulpelz. Wenn ich mir nicht gewisse Dinge in den Kopf gesetzt hätte, könnte ich ein ganzes Leben verbringen, ohne mich zu bewegen.“

Doch zurück in die Jahre um 1970. Als erklärte und von ihm mehrfach bedrohte Gegnerin des griechischen Militärregimes kämpft Melina Mercouri für die Wiederherstellung der Demokratie in ihrer Heimat. In ihrer Pariser Wohnung versammeln sich die Widerstandskämpfer – was nicht ungefährlich ist, denn „wenn Griechen sich unterhalten, dann schreien sie“. Aus dem Exil begleitet sie Hunderttausende Griechen mit ihren Liedern von Freiheit und Hoffnung. Endlich, im Juli 1974, stürzt die verhasste Militärjunta, bereits 24 Stunden später kehrt sie überglücklich und umjubelt in ihre Heimat zurück.

Um die Jahre 1977/78 beendet Melina Mercouri ihre lange Karriere als Künstlerin und wird Politikerin. Im Kabinett des sozialistischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou übernimmt sie von 1981 bis 1989 das Amt der Kultur- und Wissenschaftsministerin. Auf ihre Initiative geht übrigens die Einrichtung der jährlich wechselnden Europäischen Kulturhauptstadt zurück. Außerdem kämpft sie unermüdlich, aber erfolglos für die Rückgabe der in London befindlichen Akropolis-Skulpturen.

Ihr wohl schwerster Kampf beginnt, als Melina 68 Jahre alt ist: Bei ihr wird Lungenkrebs festgestellt. Im Jahr 1990 erleidet sie zudem eine schlimme politische Niederlage: Sie verliert die Wahl zur Athener Oberbürgermeisterin. Aber im Oktober 1993 kehrt sie, bereits schwer gezeichnet, als Kulturministerin ins neue Kabinett Papandreou zurück. Am 6. März 1994 erliegt sie in einem New Yorker Krankenhaus dem Krebs und wird wenige Tage später in Athen beerdigt.

Heute halten die Melina Mercouri Foundation, der „Melina-Mercouri-Preis für die Bewahrung von Kulturlandschaften“ der UNESCO sowie ein nach ihr benanntes Theater das Andenken an die große Griechin wach – und ich hoffentlich mit dieser kleinen Hommage. Zum Abschluss gibt es jetzt ein gut vier Minuten langes Lied von ihr. Es heißt „Par dix, par cent, par mille“ und handelt von düsteren Zeiten voller Einsamkeit und Elend, die sich aber zum Guten wenden, denn es gibt für jeden das Recht zu lieben und zu leben:

„Zehn sind gekommen, die die Schranken umgeworfen haben,
hundert sind gekommen, die den Wolf aus seinem Schlupfloch verjagt haben,
tausend sind gekommen, die das Licht hervorquellen ließen –
und dann andere noch, um den Himmel mit der Erde tanzen zu lassen.

Danke, Melina Mercouri.

PS: Die drei Melina-Bilder hat Papi bei gerard.blogs.allocine.fr, bei michael-ahearn.com und bei einer (noch) unbekannten Website geklaut. Bitte verzeiht ihm, mit freundlicher Genehmigung von mir!