WortklauBÄR

Heut plaudere ich mal aus dem Nähkästchen

Ja, es stimmt: Auch den Papi schaue ich mit großen Augen an, wenn er mal wieder aus dem Nähkästchen plaudert. Wobei es ja für jemanden, der mit bürgerlichem Nachnamen Schneider heißt, grundsätzlich viel besser passt als für andere. Was aber ist mit diesen Worten gemeint? Und wie kam und kommt es dazu, dass viele Leute aus dem Nähkästchen plaudern, obwohl sie gar keines haben?

Selbst Band 11 der Duden-Reihe (Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten) verrät nur den Sinn der angeblich umgangssprachlichen Worte: Demnach plaudern die Menschen aus dem Nähkästchen, wenn sie etwas verraten; Einblick in Dinge gewähren, die anderen sonst nicht zugänglich sind. Zwei Beispiele nennt der Duden, als erstes: Man versuchte die Vorgänge geheim zu halten, aber offensichtlich hatten schon einige Leute aus dem Nähkästchen geplaudert. Und als zweites Beispiel zitiert die Auflage von 1992 eine schon damals uralte Fernsehzeitschrift aus dem Jahre 1979: Bei trockenem Weißwein … plaudert der bärtige Hanseat aus dem Nähkästchen.

Bärli nimmt das wörtlich. Ein herzliches
Danke unserer Freundin Maria!

Aber nun, wie entstand die heute wohl meist eher scherzhaft verwendete Redewendung? Dazu hat Euer Bryan ein wenig geforscht … Nach meinen Recherchen gehörte im 19. Jahrhundert ein Nähkästchen zur gepflegten Dame wie heutzutage zur gepflegten Geschäftsfrau ein Schminkköfferchen. In diesem Nähkästchen befanden sich sämtliche Nähutensilien. Weil dieses Kästchen für gewöhnlich niemals in die Hände von Männern geriet, lag zwischen Knöpfen, Zwirn, Schere und Nadeln wohl oft auch so manches Geheimnis verborgen. Das Nähkästchen eignete sich seiner Natur nach also zur Aufbewahrung von geheimen Briefen und anderen sehr persönlichen Frauensachen. Bis … ja, bis auch der letzte Mann dahintergekommen war!

Eine andere mögliche Erklärung: Gesellige Damenrunden und junge Mädchen trafen sich zum Nähkränzchen oder zu Nähnachmittagen, bei denen Heimlichkeiten sowie die neuesten Klatsch- und Tratschgeschichten ausgetauscht wurden. Im Lauf der Zeit ging dann das Geplaudere aus dem Nähkästchen in die Umgangssprache ein.

In vielen Quellen ist die Rede davon, dass der großartige deutsche Schriftsteller Theodor Fontane (1819 bis 1898) für die Prominenz des Nähkästchens verantwortlich ist. Im Internet werdet Ihr sehr oft Hinweise wie etwa folgenden finden: In Fontanes Meisterwerk „Effi Briest“ entdeckt Landrat Geert von Innstetten im Nähkästchen seiner Frau Effi verhängnisvolle Briefe. Diese Briefe enthüllen eine sieben Jahre zurückliegende Liebesaffäre Effis mit dem Major Crampas. Das hat leider tödliche Folgen, blablub. Der Papi hat mir gerade den Roman hingelegt – und ich zitiere mal eben: „… holen Sie nur das Stemmeisen, Roswitha, wir wollen den Deckel aufbrechen.“ Hallo und aufgemerkt, ein Stemmeisen fürs Nähkästchen?! Nein, die Wahrheit liegt im Nähtisch: Dort nämlich, „unter dem dritten Einsatz, ganz unten“ im letzten Fach des Nähtisches, dort findet Roswitha auf der verzweifelten Suche nach Verbandszeug die Briefe ihrer Herrin. Und erst als der Hausherr den ausgeräumten Nähtisch wieder einräumen will, kommt es zur schicksalhaften Entdeckung des genauen Inhalts. Nur Stunden später wird Baron Innstetten über die Briefe seiner Frau ausdrücklich sagen: „Ich fand sie heut in ihrem Nähtisch.“

Bei Shakespeare würde Julia jetzt sicher etwas wie „Es war der Nähtisch und nicht das Nähkästchen“ murmeln. Ich aber plauderte gerne aus dem Nähkästchen und Ihr, liebe Freunde, wisst nun hoffentlich etwas besser darüber Bescheid.