Mensch des Monats

Heut mach ich in Kultur: Sir John Gielgud!

Als ich meinem Freund Prinzchen verriet, dass der britische Schauspieler Sir John Gielgud mein Mensch des Monats April sein würde, da meinte Prinzchen nur: „Aber den kennt doch keine Sau!“ „Nun“, antwortete ich ihm, „es reicht ja auch völlig, wenn ihn ein paar nette Bären und viele freundliche Menschen kennen.“ Aber natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass bei Johnny Depp mehr von Euch Menschen weiterlesen würden. Und doch gehe ich meinen Weg …

Stilvoll: Autogrammkarte eines älteren Herrn (gefunden
auf my-autographs.de)

Arthur John Gielgud erblickte am 14. April 1904 in South Kensington/London das Licht der Welt, also genau heute vor 105 Jahren. Obwohl seine Mutter einer berühmten Schauspielerfamilie entstammte, war sein Vater vom Wunsch des Sohnes nach einer Theaterausbildung not amused: „Johnny“ musste seinem Papi ein Architekturstudium versprechen, sollte er bis zum 25. Lebensjahr nicht den Durchbruch als Schauspieler geschafft haben. Der Jüngling besuchte die Lady Benson’s Acting School und die Royal Academy of Dramatic Art und debütierte 1921 als Herold in Shakespeares Heinrich V. Mit eben 25 Jahren hatte er dann neben anderen großen Rollen schon als Romeo geglänzt und ein festes Engagement am renommierten Old Vic Theater!

Ja, ich kann es wirklich kurz machen: John Gielgud war über Jahrzehnte einer der beliebtesten britischen Schauspieler und der wohl beste Shakespeare-Darsteller seiner Zeit. Mit seiner intellektuell-sensiblen Spielweise und einem untrüglichen Ohr für die Satzmelodie verlieh er jedem Stück und jedem Vers eine poetische Aura. Und niemand war so vernarrt in das Theater wie John Gielgud (seit 1953 „Sir“). Allein als Hamlet stand und starb er in sechs verschiedenen Produktionen mehr als fünfhundertmal auf der Bühne. Zusammen mit seinem alten Freund Ralph Richardson und mit Laurence Olivier bildete John Gielgud ein Triumvirat, das über Jahrzehnte hinweg die englischen Theaterbühnen beherrschte.

Hamlet ist Gielgud,
Gielgud ist Hamlet.
(1926; Getty Images)

Ab 1932 arbeitete Gielgud auch als Regisseur und Theaterleiter. Obwohl 1924 erstmals auf der Leinwand zu sehen, war der Theatermime dem Medium Film gegenüber zunächst sehr skeptisch. Er vertrat nämlich die These, dass alle Schauspielkunst vergänglich sein müsse. Wie gut, dass er später seine Ansicht geändert hat! So konnte man Gielgud in zahlreichen Shakespeare-Adaptionen auf der Leinwand bewundern, etwa 1953 als Cassius in Joseph L. Mankiewicz’ Filmepos Julius Caesar, 1955 als Herzog von Clarence in Richard III (Regie: Laurence Olivier), 1966 in Orson Welles’ Falstaff/Chimes at Midnight und 1991 in Prosperos Bücher von Peter Greenaway. Für diesen Film trat er nackt vor die Kamera, was Sir John lapidar mit den Worten „Es war erst ein bisschen kühl, aber ich fand es nicht unanständig” kommentierte. Besonders zufrieden äußerte er sich über sein Mitwirken in Alain Resnais’ Spielfilm Providence (1977) und in der legendären TV-Miniserie Wiedersehen mit Brideshead (1981). Dort zeigte er als missgelaunt-exzentrischer Vater des Erzählers auch sein komisches Talent. Eine seiner letzten Rollen war 1996 die des Klavierlehrers von David Helfgott in Shine – Der Weg ins Licht. Genau sechzig Jahre vorher hatte er übrigens in Alfred Hitchcocks Spionagethriller Geheimagent brilliert.

Neben der Schauspielerei betätigte sich John Gielgud auch als vorwiegend autobiographischer Schriftsteller, so in Early Stages (1939), in Distinguished Company (1972) und in An Actor and His Time (1979). Der bis zuletzt künstlerisch Tätige starb am 21. Mai 2000 im Alter von 96 Jahren auf seinem Landsitz South Pavilion in Wotton Underwood bei Aylesbury/Grafschaft Buckinghamshire.

Eher selten: eine Autogrammkarte mit 92! (my-autographs.de)

Euer Bryan will noch zwei ihm wichtig erscheinende Dinge loswerden, zum Ersten: Sir John Gielgud lebte seit langem offen schwul, was für einen Angehörigen seiner Generation einfach bemerkens- und bewundernswert ist! Nachdem er 1953 aufgrund „homosexuellen öffentlichen Nahverkehrs“ (ähm, Ihr sagt gewöhnlich Klappenbesuch dazu) strafrechtlich verurteilt worden war, sah er mit größter Sorge dem kommenden Theaterabend entgegen. Tatsächlich erhielt er bei seinem nächsten Bühnenauftritt vom Londoner Publikum – Standing Ovations! Ob das in Deutschland auch so gewesen wäre? In den frühen 1960er-Jahren lernte er bei einer Kunstausstellung den je nach Nachruf zwanzig, dreißig oder vierzig (!) Jahre jüngeren Martin Hensler kennen. Mit ihm verband ihn später eine Lebenspartnerschaft, Zitat Gielgud: „Es ist für einen Schauspieler wichtig, eine stabile Beziehung zu haben.“ Die Gefährten wurden erst 1999 getrennt – durch den Krebstod seines so viel jüngeren Freundes.

Zum Zweiten: Mir gefallen die berühmt-berüchtigten Koketterien des bei allem Ruhm stets bescheiden gebliebenen Gentleman, etwa die: „Ich dachte schon 1944, dass ich alt und jenseits meiner Bestform sei.“ Gielgud konnte zudem witzig-süffisant lästern, zum Beispiel über Ingrid Bergman: „Sie kann in fünf Sprachen sprechen, aber in keiner spielen.“ Zahlreiche weitere Anekdoten des unermüdlichen Plauderers zeugen von seiner Fähigkeit, ins Fettnäpfchen zu treten. Einst fragte er sein weibliches Gegenüber, was wohl aus Richard Burton geworden sei – und setzte ohne eine Antwort abzuwarten hinzu: „Ich glaube, der hat irgendeinen fürchterlichen Filmstar geheiratet und ist dann ins Ausland gezogen.“ Nun ja, Sir John unterhielt sich gerade mit Elizabeth Taylor …