Worte sind eine Wucht!
Ob einer von Euch ganz leise nach dem mündlichen Ausdruck seiner Gefühlslage sucht oder ob er laut vor sich hin flucht: Ihr Menschen kommt offensichtlich nicht ohne Worte aus. In meiner Rubrik „Worte im Wind“ soll es um ganz besondere Worte und Zitate gehen. Gemeinsam mit mir hat der Papi gesucht und hoffentlich auch Euch Anrührendes, Belustigendes oder Informierendes gefunden.
Beginnen möchte ich mit einem klitzekleinen Gedicht. Dieses Gedicht stand vor Jahren am Schluss von Papis Vorwort seiner Diplomarbeit. Aber er hatte es nicht erfunden, sondern zitiert. Weil der Papi natürlich die Quelle angegeben hatte, habe ich mich auf den Weg gemacht. Gefunden habe ich aber gar keine Quelle, sondern ein Buch von Richard Mason. In dem steht vorne drin:
Wenn auch die Worte geschrieben sind:
Nicht pflückt die Blüten, sind lebend Wesen!
Die Zeichen vermögen nichts wider den Wind,
denn der Wind kann nicht lesen.
Liebe Freunde, diese Zeilen treffen mitten in mein Bärenherz. Treffender könnte auch das besagte Buch nicht beginnen. Es heißt nämlich „… denn der Wind kann nicht lesen“. Dieser Roman erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem britischen Fliegeroffizier Michael Quinn und seiner Japanischlehrerin Miss Wei, von ihm zärtlich Sabby genannt. Okay, das klingt jetzt nicht gerade umwerfend. Aber Ihr solltet wissen: Schauplätze des Romans sind Birma (heute: Union Myanmar) und Indien; es herrscht ein grausamer Dschungelkrieg zwischen Engländern und Japanern. Aber die (verbotene) Liebe kommt und bleibt, bis das Schicksal es anders will: … denn der Wind kann nicht lesen.
“Masons wirklichkeitsgetreue Schilderung des Krieges kommt nicht von ungefähr: Der englische Schriftsteller (1919 bis 1997) schrieb das Buch tatsächlich während seiner Teilnahme am Birma-Feldzug 1944! Ein Zitat aus wikipedia.de: „Der Truppe folgend, reiste das Manuskript bei den Märschen oder Fahrten im Jeep mit ihm von Imphal nach Rangun und wurde erst nach der Niederlage der Japaner, seinem weiteren Dienst in Malaya und Sumatra, im Jahre 1946 nach seiner Entlassung bei der Armee veröffentlicht.“ Mit „The Wind Cannot Read“ wurde Mason über Nacht weltberühmt.
Wenn Ihr Euch nun dieses todtraurige Buch mit der zitierten japanischen Weisheit kauft, dann legt am besten gleich einen Föhn neben Euren Teddybären! Übrigens, „… denn der Wind kann nicht lesen“ ist 1958 mit Dirk Bogarde und Yoko Tani verfilmt worden. Absolut unverständlich, warum dieser wunderbare Film bisher nicht auf DVD erhältlich ist. Obwohl ich mich dann wohl wieder mal abtrocknen müsste …
Guten Tag, Bryan-Papa.
Da bin ich heute sehr erstaunt: Diese Zeilen hat mir eine Lehrerin vor über 50 Jahren in’s Album geschrieben.
„von Christian Morgenstern“ stand noch drunter …
Das hatte ich NIE angezweifelt … bis heut‘ vielleicht.
Gruß Evelyn N.
Schönen guten Tag, sehr geehrte Frau Ney,
zwischen all dem dummen Spam an „Hallo, hier Bryan“ doch mal wieder ein schreibender Mensch – damit haben Sie nun Ihrerseits den Bryan und mich „sehr erstaunt“! …
Auch wenn ich Ihrer Lehrerin ungern „widerspreche“: Bei den von Bryan zitierten Zeilen aus dem Buch des englischen Schriftstellers Richard Mason – der übrigens der japanischen Sprache kundig war! – handelt es sich tatsächlich um ein japanisches Gedicht wohl aus dem 18. Jahrhundert. Der von Edmund Th. Kauer übersetzte Mason-Roman gibt dieses Gedicht sogar an: „Kono hana wa kataku oru-na! To iu tate-fuda mo, y(v)omenu kaze ni wa zehi mo nashi.“
Ich bin mir also sicher, dass der am 6. Mai 1871 in München-Schwabing geborene und am 31. März 1914 in Südtirol viel zu früh gestorbene Christian Morgenstern – ein wunderbarer Dichter, Schriftsteller und Übersetzer! – nicht als Urheber der schönen Weisheit in Frage kommt.
Seien Sie herzlich gegrüßt
Uwe Jens Schneider-Andergast (und Bryan)